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mean shadow of a god
Eine besondere Form des schöpferischen Prozesses, der immaterielle Elemente in eigen-
tliche Objekte transformiert, treibt seinen sinnstiftenden Spuk in dem gegenwärtigen Zu-
stand der bildenden Kunst. Angesichts der Leichtigkeit, mit der Bilder heute produziert wer-
den können, sagt uns diese Tendenz etwas von der Widerständigkeit sinnlicher Erfahrung
gegenüber bloßer Erfindung und kann als symptomatische Reaktion sowie als notwendige
Konsequenz auf die Ausbreitung digitaler, gewichtloser Einheiten aufgefasst werden. Trotz
ihrer Unterschiedlichkeit gehören die Arbeiten von Christian Heilig und Esther Horn zu die-
ser Strömung und darin offenbart sich ihre Identität.
In der Vorgehensweise beider erzeugen visuelle Informationen eine Erfahrung, die man mit
dem Begriff haptisch bezeichnen könnte, verstanden als aktiv erfühlte Auffassung von
Raum als Grösse, Kontur und Oberflächentextur und die Selbstwahrnehmung in dieser
naturgesetzlichen Bedingtheit von Außenwelt.
Die Analyse ihrer Arbeit bringt uns zurück zu der vergangenen Dekade, in der die Ausbrei-
tung von Pixel- und Vektorgrafiken eine Ästhetik auslöste, die ihre Grundlage in der
schnell wiedererkennbaren, sharp-edge Form und der folgerichtigen Gegenbewegung der
von try-and-error, gestisch geprägter Zeichnung, des `zeichenhaft-ungezähmten Flecks´
hatte, die schließlich zu der unerwarteten Wiedergeburt scheinbar traditioneller Abbil-
dungspraxis der Gegenwart führte. Die-selbe Verbindung von Technik und Handwerk - man
könnte auch sagen: von Abstraktion und Einfühlung - ist in der Arbeit beiderKünstler mit ei-
ner auffälligen expressiven Kraft ausgestattet, sie entstammt auch der Zeichnung und ihrer
Schlüsselrolle in der Be-Zeichnung des Raums.
Christian Heilig verwandelt Linien und Formen in plastische Elemente, gerade so, als ob
er Vektorbahnen benutzt, die vergrößert und verkürzt werden können, ganz spielerisch,
und nie verlieren sie dabei ihren raumgebenden Duktus. In einer großen Materialfülle reali-
sieren sie sich als sofort erfahrbar und wirklich, in der Zeichnung wie in einer dreidimensio-
nalen Installation. Den Prozess widerspiegelnd, der virtuelle Objekte in greifbare Realität
überführt, dringen Bahnen in Form von hölzernen Strahlen in den Raum ein, Vektorformen,
gesägt aus MDF, Styropor oder Rigips; `Mesh´- Netze - aus dreidimensionalen Grafiken
werden Skulptur und Architektur. So entstehen mentale Landschaften, die, in wechselseit-
iger Beeinflussung mit ihrer Umgebung, spontan Formen keimen lassen, die den Betrach-
ter zu immer neuen Environments und Raumerleben führen.
Auch Esther Horn erschafft imaginäre Landschaft. Als Malerin erzeugt sie mit gleißenden
Farbfeldern Licht auf dunklen Malgründen, und so bilden diese lichte Bühnen für ihre nächt-
lichen Traumbilder. Auch wenn viele ihrer Bilder an filmstills geheimnisvoller roadmovies
anzuknüpfen scheinen, tritt die Auseinandersetzung ihrer Malerei mit Filmbildern hinter
der ursprünglich gewählten Thematik zurück.In der Tat, der Kinosaal selbst ist der Ort, wo
die Leinwand dem dunk-len Raum der Zuschauer begegnet und gerade die Unterscheidung
zwischen optischem und mehrdimensionalem Erleben deutlich sichtbar macht. Und schon
einige frühere Arbeiten von Esther Horn, die Landschaften im Innern eines Campingzelts
darstellen, bilden eine Metapher für die Verbindung von Leinwand als Ort für Vorstellung,
Bild und Raum zugleich; dieser Bezug brachte auch ihre raumbezogenen Wandarbeiten
hervor, die in der Kooperation mit Christian Heiligs Installation zum Environment werden.
Mean Shadow of a God, ein Projekt, welches die Künstler eigens für die DAC Galerie entworfen haben, ist ein geradezu sinnbildliche Veranschaulichung des expressiven Po-tentials, das in der Bewegung von immateriellen Vorstellungen in die Realität (und zurück) liegt und der damit verbundenen Kollision von optischem und haptischem Raum.Licht ist hier selbst Darstellungs-form, das Mittel, das aus Formen Trugbilder macht, die Projektion trifft auf die begrenzenden Wände ihres Ortes, erfährt Verzerrung und Brechung. Die dra-matische Kraft dieser aus der Vor-stellungskraft in die Gegenwart übertragenen Bilder ruft die scharfkantig geformte Raumwelt der Maler Walter Reimann und Walter Röhrig in Erinnerung, mit der sie den berühmten expression-istischen Films Das Kabinett des Doktor Caligari (R. Wiene, 1920) ausstatteten. Die beiden Maler malten fürdie Szenen-
flilmstills aus: Das Kabinett des Dr. Caligari, Robert Wiene, 1920
bilder Licht- und Schattenformen direkt auf die Wände der Requisiten. Wenn es nun Sinn
macht, über die Phänomenologie von Stil im Sinne von Ausdrucksweise zu sprechen, wie
es zu dieser Zeit durchaus der Fall war, stellt die Arbeit von Christian Heilig und Esther
Horn ein beispielhaftes Zeugnis unserer Zeit in einem hypothetischen Katalog der Kunst-
formen dar.
Massimo Palazzi, Genua, 2009
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